28.8. Südtirol Ultra Skyrace

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Link zum Veranstalter: Skyrace

28.8.2021 Das Laufabenteuer

Um 6:22 Uhr fahre ich mit dem Bus von Sarnthein nach Bozen, als einer von 10 Läufer/innen, die auch Sarnthein als idealen Ausgangspunkt gewählt haben. In Bozen meint es der Busfahrer gut mit uns und fährt an der passenden Haltestelle vorbei. Ist aber egal, denn bis zum Start um 7:30 Uhr ist noch reichlich Zeit. Vor Ort Kontrolle meiner Corona-App. Der Rucksack wird nicht auf die vielen geforderten Dinge geprüft. Die „schnellen Hirsche“ haben sogar nur Getränke dabei. Pünktlich erfolgt der Start. Erst entlang des Flüsschens Talfer und dann bald hinauf. Die Oswaldpromenade entpuppt sich als eine langgezogene Steigung, die in Serpentinen den Berg hinaufführt. Gut, dass ich meine Stöcke dabeihabe. Erst durch die Weinberge, dann durch den Wald.

Oswaldpromenade durch die bozner Weinberge
Nun auf dem Wanderweg Nr. 2 steinig bergauf

Schon bald habe ich dem Läuferfeld klargemacht, dass hier und heute nur einer Letzter werden kann: Ich! Doch dann überhole ich zwei Läufer, die verschnaufen müssen. Dahinter folgen bereits zwei Helfer, die die gelben Markierungs-Fähnchen einsammeln. Ich schnaufe ordentlich, während die beiden sich angeregt unterhalten! Wenig später schließe ich zu zwei Frauen auf, die in etwa mein Tempo gehen. Sie sind bereit, mich mitzunehmen. Danke sehr! Meine Befürchtung, dass wir es nicht in 6 Stunden bis zum Rittner Horn schaffen, wird gleich zerstreut: „In etwa 4:30 bis 5 Stunden werden wir dort sein!“ Diese Info ist für mich eine große Erleichterung, da ich es gar nicht einschätzen konnte.

Judith und Doris

So zu dritt geht es leichter, da wir uns angeregt unterhalten. Doris wohnt in Sarnthein, kennt hier jeden Steig und Judith aus der Nähe von Karlsruhe war hier bereits einmal am Start. Das Tempo ist moderat aber gleichmäßig. Wo immer es geht, wird gelaufen. Es geht nicht oft! Wir erreichen Oberbozen, wo es eine Verpflegungsstelle mit Gels, Riegeln, Waffeln und Wasser gibt. Ich nutze diese ausgiebig.

Maria Himmelfahrt – Zeit für ein stilles Gebet
Oberbozen mit Blick auf den Schlern
tolle Wegeführung

Wir drei verstehen uns gut und haben viel Spaß und gute Laune. Aus Fremden werden bei einem solchen Lauferlebnis Freunde, Lauffreunde. Wir teilen die Erlebnisse, die Quälereien, die sagenhaften Ausblicke, die Herausforderungen und die Freuden, wenn wieder ein Anstieg erfolgreich gemeistert wurde. Wir bleiben heute bis Km 25 auf dem Fernwanderweg E 10, der in Bozen endet. Da ich immer interessiert bin, habe ich den E 10 gegoogelt:

Der E10 nimmt seinen Ausgang in Nuorgam/Finland führt über Lahti zum Kap Arkona auf Rügen/Deutschland, von wo aus er über Stralsund nach Süden durch das Seengebiet Mecklenburgs und Nordbrandenburgs führt. Berlin umgeht der Weg über Potsdam und gelangt in die Niederlausitz, wo der Spreewald durchquert und in der Oberlausitz das Mittelgebirge erreicht wird. Über das Lausitzer Gebirge und das Böhmische Mittelgebirge erreicht der E 10 die Moldau und folgt ihr bis Prag und Budweis in den Böhmerwald, in dessen österreichischem Teil er in das Mühlviertel gelangt. Ein Wegast verläuft nun als Inn-Salzach-Variante nach Salzburg, der Hauptweg hingegen durch den Hausruck und den Kobernaußer Wald und über den Gaisberg nach Salzburg. Nun strebt der Weg durch das Berchtesgadener Land zum Steinernen Meer und zum Hundstein, hinab nach Taxenbach, sodann hinauf ins Rauriser Tal und hinüber ins Gasteiner Tal, von wo aus die Hohen Tauern überschritten werden. In der anschließenden Reißeckgruppe setzt sich der Weg weiterhin durch hochalpines Gelände fort, ehe er hinunter nach Spittal an der Drau verläuft und sich in den Gailtaler- und Karnischen Alpen fortsetzt, hinüber in das Pustertal führt, den Sarntaler Alpen zustrebt und schließlich sein Ziel in Bozen erreicht, wo er vorläufig endet. (Quelle: Alpenverein)

Kurz vor der Talstation der Bergbahn erwartet Christian, ein guter Freund von Doris auf uns. Gemeinsam geht es bis zum großen Parkplatz, wo auch der VP ist. Es gibt Cola, nur Cola! Gerne hätte ich meine Flaschen mit Wasser aufgefüllt, so müssen die restlichen 0,3 Liter für die nächsten rund 700 Höhenmeter ausreichen. Wir verlassen die Straße und quälen uns bergauf, Schritt für Schritt, step by step.

Auf dem Weg hinauf zur Bergstation der Rittner-Bergbahn

Wolken wechseln sich mit Sonne ab. Für das Foto vom Aufstieg passe ich eine kurze sonnige Phase ab, denn danach werden wir unter den (dunklen) Wolken laufen. Die Aussichten entschädigen für die Quälereien. Wir erkennen die Geisler Spitzen, Lang- und Plattkofel, die Seiner Alm, den Schlern, den mächtigen Sella Stock und auch die Rosengartengruppe. Diese Dolomiten liegen nur wenig entfernt und sind dennoch durch das tiefe Eisacktal nicht schnell erreichbar.

Aufstieg zum Rittner Horn

Inzwischen sind wir ruhiger geworden. Sowohl bei den Gesprächen wie auch beim Steigen. Es ist steil! Nun muss jeder sein eigenes Tempo, seinen Rhythmus, gehen. Oben am Horn werden wir uns wieder sammeln. Ein Mann wartet im Anstieg. Wenig später erfahre ich, dass es Judiths Mann ist, der seine Liebe nun ein Stück begleitet. Es fallen einige wenige Graupel aus graudunklen Wolken. Nur einige! Eine Läuferin, die wir bereits überholt hatten, schließt sich uns an. Veronika kommt aus Ritten, dem Ort, der dem Rittner Horn seinen Namen gab. Sie kennt hier also auch (fast) jeden Stein. Aus einem Trio wird ein Quartett. Endlich sind wir oben. Und ja, sie hatten Recht, meine Uhr zeigt 4:46 Stunden. Deutlich vor dem Cut Off! Meine Beine sind gut, ich weiß nun, dass ich es schaffen werde!

schöne Aussicht vom Rittner Horn auf die Dolomiten
Hier oben gibt es eine Wetterstation und die bewirtschaftete Hütte

Hier oben auf 2261 Metern Höhe ist es frisch. Am VP ist Zeit zum Auffüllen meiner Trinkflaschen, für Apfelstückchen und für 6 Kekse – einfach lecker! Wir erfahren, dass der erste Mann in etwa 4:05 Stunden bereits das Ziel erreicht hat! Die erste Frau wird etwa eine Stunde später im Ziel sein. Unfassbar!!! Beide stammen aus der näheren Region, aus Gröden und Lana.

Danach gehe ich ein Stück weiter, raus aus dem Wind, hinter einen Felsen. Es ist zwar kalt, aber von den niedrigen Temperaturen um 0 und dem eisigen Nordwind gibt es keine Spur. Dennoch tausche ich die nassen Shirts gegen neues Shirt und Windjacke. Dann muss ich los, meinen drei Damen hinterher. Kaum bin ich 100 Meter gelaufen, ist der Wind weg und die Sonne zeigt sich ganz kurz. Plötzlich warm, das gibt’s doch nicht! Ich zweifle an meiner Entscheidung. Egal! Weiter!

über Hindernisse

Es folgt eine längere Laufpassage (1 Kilometer), danach geht es über Wiesen und immer steiler bergauf Richtung Sartner Scharte, dem Hausberg von Sarnthein.

Die Scharte ist schon zu erkennen
meine Begleiterinnen
Der heftige Anstieg hinauf zum Sattel
Notfall-Biwak auf dem Sattel – endlich oben

Hier oben warten Bekannte der einheimischen Läuferinnen und es gibt eine Extra-Versorgungsstelle. Es gibt Kuchen und auch gekochte Eier sind zu haben.

verdientes Picknick nach dem langen Aufstieg

Nach der Pause geht es weiter bergauf zur Sartner Scharte. Stellenweise ziehe ich mich an Sicherungsseilen die steilen Passagen empor. Dann stehe ich endlich an der höchsten Stelle der Strecke. Die Strecke führt nicht über den Gipfel, sondern etwa 50 Meter entfernt über die Schulter. Aber ich folge den großen Steinmännchen und stehe bald am Gipfelkreuz. Diesen Ausblick will ich mir nicht nehmen lassen.

Mächtige Wegweiser!
Sartner Scharte Gipfel auf 2.468 Meter NN
KM 30 Aufstieg zum Villandersberg

Bald ist Kilometer 30 erreicht. Ein weiterer Gipfel wird in einiger Entfernung passiert. Nun soll es nur noch hinab gehen. Inzwischen ist ein Helfer hinter mir unterwegs und sammelt die Markierungen ein. Ich frage nach dem hinter uns liegenden Läufer. Seiner Info nach sind wir die letzten, andere haben wohl aufgegeben.

Totensee

Es geht felsig hinab. Nach dem Totensee folgt das Totenkircherl. Infos hierzu: Wahrscheinlich wurde das Kirchlein von ehemaligen Bergknappen errichtet. Auf der Sarntaler Seite war bis ins 16. Jahrhundert ein Bergwerk in Betrieb.“Am Toten“ sollen sich laut einer Sage während der letzten Pestepidemie einige Villanderer zurückgezogen haben. Die Kapelle am Übergang vom Eisacktal ins Sarntal liegt auf dem Hochplateau der Villanderer Alm. (Quelle: Sentres)

VP am Kircheneingang

Am letzten VP an dieser Kirche stärken wir uns und können schon den weiteren Streckenverlauf hinab Richtung Ziel erkennen. Wir sehen aber auch ein Schauer aufziehen und entscheiden uns zum sofortigen Start.

Mitten im Graupelschauer

Das Schauer ist schneller. Ein heftiges Graupelschauer verklopft uns. So schnell wie es kommt, so schnell ist der Hagel nach 5 Minuten auch wieder vorbei. Das Schauer zieht hinauf, genau dort hin, wo wir herkamen. Glück gehabt!

Wir passieren eine Gedenkstätte für einen hier verstorbenen noch jungen Mann. Doris erzählt: „Auf einer Mountainbike-Tour hielt ihm sein bester Freund das nahe gelegene Gatter auf. Nachdem er es verschlossen hatte, konnte er seinen Freund nicht mehr sehen. Er fand diesen dann an dieser Stelle leblos. Verstorben an einem Herzinfarkt. Viel zu jung!“ Nach dieser doch sehr traurigen Geschichte sind wir uns einig, wir müssen das Leben genießen solange es geht, viel Spaß haben und Erlebnisse sammeln. Wie bei dem heutigen Lauf.

Nun begleitet uns ein Junge, Noe, der die Fähnchen einsammelt. Gestern hat er mit seiner Mutter die Strecke markiert, heute ist er mit seinem Vater als „Räumdienst“ eingeteilt. Gerade noch rechtzeitig kann ich ein Foto von ihm und dem Schild Km 35 machen, bevor er hinter, neben und vor uns herumwuselt und die Markierungen aus dem Boden zupft. Der Kleine ist in seinen Bergschuhen mindestens genauso schnell unterwegs wie wir Läufer. Er hat großen Spaß!

Team Noe“

Judith bestellt bei unserem Begleiter für den Zieleinlauf „We are the Champions“als Musikwunsch. Leider hat er hier oben keine Verbindung zum Ziel.

brutales Gefälle

Es folgt ein ganz heftiges Gefällstück. Ich frage Noes Vater, ob die Fahrzeuge der Wald- und Wiesenbauern hier überhaupt hinaufkommen. „Gar kein Problem, mit Allradantrieb und niedrigem Schwerpunkt kommen sie schon hinauf. Unfälle passieren häufig bei Arbeiten, wie heuen, die quer am Hang stattfinden, da gibt es leider jedes Jahr schwere Unglücke.“

Burg Reineck

Noch 4 Kilometer, ich rufe Susi an, dass sie mich bald im Ziel begrüßen darf. Der letzte Kilometer. Wir passieren die Burg oberhalb von Sarnthein, gleich ist es geschafft. Einen gemeinsamen Zieleinlauf verabreden wir mit Noe und mit Fähnchen. Kurz vor dem Ziel werden wir von unseren Familien und Freunden erwartet. Susi spendet auch reichlich Applaus. Danke!

Das Video von unseren Zieleinlauf hat Judith zur Verfügung gestellt.

We are the Champions!

Unserem Helfer ist es wohl doch noch gelungen, unseren Wunsch weiterzugeben. Herzlichen Dank dafür!!!

Wir sind alle stolz und überglücklich, als wir die Finisher-Medaille und das T-Shirt erhalten

19 Frauen (alle) und 103 (von 105) Männer kommen ins Ziel. Und ich habe mein Ziel letztendlich dann doch erreicht: Letzter! Ok, nicht ganz allein, aber doch!

103. Uwe Laig 9:42:45 Stunden

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26.8.2021: Noch 2 Tage bis zum Start. Ich habe Teile der Strecke besichtigt, abgelaufen, abgewandert. Dies hätte ich besser unterlassen. Nun weiß ich, was mich erwartet. Heute habe ich mir den Streckenverlauf nochmals in Ruhe angesehen und festgestellt, dass es nach dem Rittner Horn (2260) noch zwei weitere Berge zu erklimmen gilt (2468 und 2509). Mit entsprechendem Untergrund. Erst dann geht es hinab zum Totenkircherl, 2168 (was ich hoffentlich lebend erreiche) und hinab nach Sarnthein auf Höhe 980. Das Wetter verspricht auch keine Unterstützung. Samstag: – 2 bis + 2 Grad, leichter Nordwind am Rittner Horn (2260). Ich darf ja noch 240 Meter höher hinaus! Wo sind meine Winterklamotten? Zu Hause! Also mehrere Schichten anziehen und sehen wie es läuft! Habe mächtig Respekt vor diesem Abenteuer. Dazu soll es noch Gewitter geben! Ich hoffe, dass der Wetterbericht morgen besser sein wird.

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10.8.2021: Ab dem 14.8. steht Jahres-Urlaub auf dem Programm. Erst eine Woche im Bregenzer Wald, danach 8 Tage in Südtirol. Ganz zufällig ist dort am 28.8. eine Marathonveranstaltung. Südtirol Sky UltraTrail. Wobei die langen Strecken über 121 und 69 Km gestrichen wurden. Mir werden aber auch 44,5 Km und 2.863 HöM reichen!

Höhenprofil

Bozen liegt auf Höhe 280 NN, bis zum Rittner Horn bei km 23 sind 2.000 Höhenmeter zu bewältigen. Das Zeitlimit beträgt hierfür 6 Stunden. Für die gesamten 44,5 km (Verlängerung wegen Felssturz notwendig) habe ich 12 Stunden Zeit. Der höchste Punkt liegt bei rund 2.500 Metern NN.

Das wird schon ein ordentliches Abenteuer werden. Hier werde ich auch die Stöcke mitnehmen. Es gibt auch eine umfangreiche Liste mit Utensilien, die ich dabei haben muss. Wo ist meine Signalpfeife? Und die Handschuhe?

VORGESCHRIEBEN:

  • Startnummer, mit integriertem Chip, muss sichtbar vorne angebracht werden (um Chipsignal gut zu empfangen)
  • Rucksack oder Gürteltasche
  • Mobiltelefon immer eingeschaltet und aufgeladen
  • Sicherheitsnummern der Organisation und Notrufnummersind im Mobiltelefon gespeichert
  • Feldflasche oder Camelbak, Becher oder geeigneter Trinkbehälter
  • Nahrungsvorrat für die gesamte Rennstrecke
  • Aluminium Rettungsdecke/Überlebensdecke
  • Signalpfeife
  • Erste Hilfe Set: Sterile Kompressen, Verband, Pflaster
  • wasserdichte Jacke, für schlechte Klimabedingungen und für Höhenlagen geeignete warme Bekleidung
  • Laufhosen, die mindestens bis unter das Knie reichen oder Beinlinge
  • Mütze, Stirnband oder sonstigen Kopfschutz
  • Handschuhe
  • Streckenplan/Road-Book oder GPS
  • Sicherheitsplan bei Unwetter und bei Unfällen
  • Chirurgische Maske

Da sehe ich, dass ich doch noch einiges zurecht legen muss. Und klar, auf 2.500 Meter Höhe (Sarner Scharte) kann die Temperatur auch bei 0 Grad liegen.

Hoffentlich gibt es kein Gewitter. In 2019 wurde das Rennen wegen Gewitter unterbrochen und Teilnehmer in Hütten versorgt. Leider waren einige Läufer zwischen den Posten unterwegs und nicht erreichbar. So auch eine Gruppe mit einer Norwegerin, die von einem Blitz getroffen wurde und später im Krankenhaus verstarb. 2021 wird es kein Gewitter geben! Falls doch, werde ich meinen Start überdenken.

Wenn alles gut läuft, geht es ab dem Totenkircherl die letzten 10 Kilometer – siehe Foto – hinab ins Sarntal. Ganz zufällig befindet sich unser Hotel in Sarnthein, in der Nähe des Ziels.

Über diesen Lauf werde ich ab 29.8. berichten.

7.8.21 Ottonenlauf

Triebwagen der Harzer Schmalspurbahnen Richtung Harzgerode

Bereits zum 7. Mal bin ich bei diesem schönen Lauf im Harz mit dabei und werde Martina und Ute auf der 45 Kilometer langen Strecke begleiten. Wir parken in Quedlinburg im Ziel im Moorstadion und wandern zur Bushaltestelle. Dort treffen wir Gerd, der auch diese kostengünstige Möglichkeit (3,90 €) des Transportes zum Startort Alexisbad nutzt. Unterwegs kommen wir an Bad Suderode, Gernrode und Mägdesprung vorbei, Orten, die wir später laufend passieren werden. Um 9:10 Uhr steigen wir aus dem Bus. 2017 war die Startnummernausgabe beim Hotel Habichtstein, heute eine verlassene Baustelle. Wir finden dann doch den Ort des Geschehens, Trassierbandgewirr und zwei Tische mit den Startnummern direkt neben Straße und Schmalspurgleisen. Wir haben die Haftungserklärung, den Impfnachweis und den Gesundheitsfragebogen wie in der Ausschreibung genannt, dabei und erhalten rasch unsere Startnummern in XXL-Größe, die nicht so recht zur Anzahl der Teilnehmer (40) passt. Die Mehrzahl der Läufer rennt die 70 Kilometer Strecke, um noch mehr Harz zu genießen. Ein Läufer macht dann Ärger, er hat weder Maske noch die geforderten Unterlagen dabei, besteht aber auf Aushändigung der Startnummer, was ihm vom Race Direktor verwehrt wird. Übelste Beschimpfungen ausstoßend macht sich diese Person dann endlich vom Acker.

entlang der Selke, hier noch flussaufwärts

erster Anstieg

Als der Triebwagen vorbei ist, erfolgt um 10 Uhr der Start. Ein paar nette Worte und Hinweise auf nasse, glitschige Steinpassage, und es geht ganz entspannt (zumindest für unser Team) los. Über die Brücke und auf kleinen Wegen entlang der Selke. Bald zunehmend steil bergauf bis zu einem Aussichtspunkt ins Selketal.

Verlobungsurne

Hier steht eine große Vase auf einem Sockel. 1845 hielten sich im Ort 6 adelige Pärchen hier einige Tage auf. Als Dank für diesen schönen Aufenthalt spendete der Prinz Hugo von Hohenlohe-Öhringen (Württemberg) dieses Denkmal. Die 12 Vornamen der Beteiligten sind auf den Seiten des Sockels genannt. Im Volksmund wird die Vase „Verlobungsurne-2 genannt. Es allerdings nicht belegt, ob damals tatsächlich eine Verlobung stattgefunden hat. Nach einigen Fotos laufen wir hier auf der Höhe auf schmalen Pfaden herrlich auf und ab weiter. Immer wieder locken Aussichtspunkte wie Birkenhäuschen, Luisentempel, Friedensdenkmal und Köthener Hütte zu einem kurzen Stopp.

An der Köthener Hütte
Mägdetrappe = Absprungort der Riesin

An der Mägdetrappe mache ich wieder Halt. Ein Foto von der Stelle an der sich der Sage nach Folgendes ereignete: Ein Riesin wartete hier auf ihre Freundin aus Thüringen. Diese war nach ihrer Reise müde und bat die Wartende doch zu ihr hinüberzuspringen. Ein Bauer spottete über die zögernde Riesin. Diese schnappte sich den Bauern samt Pferdewagen, stopfte sie sich in die Schürze und sprang über das Selketal zu ihrer Freundin hinüber. Dort entließ sie den geschockten Bauern. Zurück blieb am Absprungpunkt ein Fußabdruck (Größe 64) im Fels.

Kopf einziehen

Es geht glitschig bergab, der Veranstalter hatte Recht! Gut aufpassen! Bald ein neuer Anstieg zu einem weiteren Highlight, dem Pioniertunnel. Hier hatten in 1900 Magdeburger Pioniere den Tunnel im Rahmen einer Übung in den Fels geschlagen. Heute eine schöne Passage des Wanderwegs Selketal-Stieg.

Entlang der Selke

Es gibt so viel zu sehen, dass wir nur langsam vorankommen. Allerdings ist das Motto unseres Teams Ute, Martina, Gerd, Frank und ich „Den Lauf genießen“, was wir ausgiebig tun. Im Ort Mägdesprung dann der erste VP, den wir gerne nutzen. Wieder über die Selke und nun laufen wir im Tal am Fluss entlang. Mal direkt am Wasser entlang, dann wieder ansteigend über eine Felspassage. Es folgt ein weiterer Tunnel, der Wanderweg ist ein Genuss! Allerdings fehlt leider die Schaukel, die noch im Prospekt des Selketal-Stieges beschrieben wird. Gerne hätte ich unsere Mädels einmal ordentlich in Schwung gebracht. Frank hat sich hier bereits von der Truppe entfernt.

Besonderer Verpflegungspunkt

Die Wege werden breiter und am Hammer IV, heute ein Café, befindet sich der zweite VP. Ein ganz besonderer, auf den ich mich bereits seit dem Start freue. Denn hier gibt es immer ganz leckeren, hausgemachten Kuchen, heute mit Kirschen. Die Stücke sind klein geschnitten, soo lecker, dass ich zu einem zweiten Stück greife. Mein Lob freut die Standbesatzung.

Verpflegung für alle Zwei- und Vierbeiner

Ab der Selkemühle wird das Tal breiter und der Wanderweg folgt nun einem breiten geschotterten Weg. Büsche bieten den Damen die Gelegenheit für eine kurze Pause. Anschließend beklagt sich Martina über sehr zudringliche Mücken. Gerd mit ganz trockenem Humor: „Wenigstens die Mücken mögen dich!“ Der Selketal-Stieg führt unter Kastanien durch Wiesen immer gleich dahin. Das wird bald etwas langweilig. Eine Engstelle, eine Brücke, auf der anderen Flussseite dann durch das nächste breite Tal. Martina meint zurecht: „Hier passt das Lied, über sieben Brücken musst du gehen, sehr gut“ Recht hat sie, nur, es sind mehr als sieben Stück. Dann der VP. Und nochmals 4 Kilometer Wiesenwege bis zum VP Thalmühle.

Herrlich!

Ab hier wieder auf schmalen Wegen, die ich liebe, am Fluss entlang. Ein Blick zurück und man sieht die Burg Falkenstein, die seit über 800 Jahren auf einem Felsrücken über dem Selketal thront und nie erobert wurde. Bald vorbei an einem in den Berg getriebenen Mausoleum und zum Schloss Meisdorf. Hier am VP hat Frank sich zu einer längeren Pause (bis später) niedergelassen.

Schloss Meisdorf

Das Schloss und das Schlossrestaurant sind geschlossen. Coronabedingt? Der Garten bietet einen traurigen Anblick. Statt gepflegter Gärten und Beete mit schönen Blumen wie früher, steht das Unkraut hüfthoch. Weiter nun leicht bergauf am nahe gelegenen Golfplatz vorbei, der weiter geöffnet ist. Die Hälfte unserer Strecke haben wir nun bereits geschafft. Weiter bergauf durch den Wald, über Wiesen und dann asphaltiert Richtung Ballenstedt. Noch ein Umweg über eine Wiese hinauf. Hier steht wie jedes Jahr ein echtes Anhalter Original und weist uns die Richtung. Er trägt mir Grüße für seine Frau auf, die 200 Meter weiter an einer Wegabzweigung auf einer Bank sitzt. „Hallo Bärbel, ich soll dir liebe Grüße von deinem Mann ausrichten!“ Wir lachen. „Bis nächstes Jahr“, verabschiede ich mich.

Martina macht Tempo
VP Ballenstedt

Wenig später erreichten wir den VP am See unterhalb vom Schloss Ballenstedt. Auch hier sind alle Helfer wieder unglaublich nett und gut drauf. Es gibt alles, was der Läufer so braucht. Ute macht noch einige Fotos vom See, dann ein Umweg zu einem Denkmal mit einem Löwen, dann noch diese riesige, uralte Eiche. Wenn diese so alt ist wie das Schloss, dann etwa 300 Jahre. Auch das Schloss kann ich nun sehen. Martina und Gerd verlieren wir hier, sie haben es eilig.

Uralter Baum

Löwe im Schlosspark

Nächster VP an einem Badesee. Der Osterteich. Ein ganz idyllischer Ort. Ute verspricht, wenn es nächstes Jahr heiß sein sollte, wird sie sich hier abkühlen. Versprochen! Also müssen wir nächstes Jahr hier nochmals laufen. Danach wieder ein Anstieg, wir überholen zwei Wanderer, die um 7 Uhr in Alexisbad starteten. Ein paar nette Worte, alles Gute und weiter. Es bilden sich dunkle Wolkenformationen. Ute meint, eine sieht aus wie Fuchur, der Glücksdrache, aus der Unendlichen Geschichte von Michael Ende. Sie hat Recht!

Badesee Osterteich

Am Ende des Anstiegs ein Schild, Aussicht 100 Meter. Den Umweg gönnen wir uns. Hier stehen Bänke, um den grandiosen Ausblick auf Gernrode und das Harzvorland zu genießen. Ich nutze die Gelegenheit, um die Gummibänder an den Gamaschen neu zu befestigen und die Schuhe zu leeren. Eine Salztablette, ein Schluck Wasser, ein Salzlakritz und die Aussicht aufnehmen. „Über sieben Brücken“, wie reimt doch Karat sehr weise:

„Manchmal scheint die Uhr des Lebens still zu stehn
Manchmal scheint man immer nur im Kreis zu gehn
Manchmal ist man wie von Fernweh krank
Manchmal sitzt man still auf einer Bank“

Aussicht auf Gernrode

Ute macht noch zwei Fotos. Dann schnell den Wanderstempel Nr. 119 „Försterblick Gernrode“ auf die Startnummer gedrückt, dann müssen wir aber nun wirklich weiter. Übrigens: Wer alle 222 Wanderstempel sammelt, wird Wanderkaiser!

typisch für Bad Suderode

In Bad Suderode verlassen wir den Harz. Auf dem Marktplatz werden wir von der Helferschar begeistert begrüßt. Vermutlich haben sie mehr Helfer im Einsatz als Läufer am Start?! Alle haben ihren Spaß. Durch die Felder Richtung Quarmbeck. Nun beginnt der Radweg. Noch rund 3 Kilometer bis zum Ziel. Martina und Gerd sind auch auf der langen Geraden nicht mehr zu sehen. Wie meint Gerd später: „Ich wäre gerne einiges gegangen aber Martina hat mich immer vor sich hergetrieben!“ Ute nimmt sich auch am allerletzten VP noch die Zeit für einen kurzen Plausch mit den Helferinnen. Sie haben es sich verdient! Auch drei Kilometer gehen zu Ende.

fast geschafft

Stadioneinlauf. Eine Fanfare ertönt für uns. Hier werden auch die weit hinten Platzierten begeistert begrüßt. Gänsehaut. Martina macht das Zielfoto.

Medaillenübergabe

Ein schöner Lauf endet. Ulrich, Marion und Jochen sind die lange Strecke gelaufen und begrüßen uns. Schön, sie wieder zu sehen. Stefan Opitz, mein MUM-Mitstreiter, liegt auf dem Rasen, neben ihm der Pokal. Er hat den Lauf über 45 Kilometer gewonnen. Zeit: Unter 4 Stunden. Tolle Leistung, Glückwunsch! Unsere Zeit: Rund 6:30 Stunden.

Ein letztes Foto: Diese kleine Ente (am Wegesrand gesichtet) gab uns Kraft für die letzten Kilometer

Nach dem Duschen noch (je) ein alkoholfreies Weizenbier für alle und eine Boulette für Gerd und mich. Gerd wird später nach Langenhagen fahren und dort morgen den nächsten Marathon laufen. Kurz bevor wir abfahren kommt auch Frank ins Ziel. Herzlichen Glückwunsch!

Mauerweglauf 2017

Der Lauf (Copyright LG Mauerweg)

Jedes Jahr im Frühjahr erhalte ich Anfragen rund um den Mauerweglauf (2016 + 2017 war ich dabei) sowie die Vorbereitung hierauf. Hier einige Infos.

Alles beginnt mit der frühen Anmeldung, denn die Startplätze sind begehrt und rasch vergriffen. Ich bin etwas spät (30 Stunden nach Freischaltung) dran, rücke aber von Platz 17 der Reserveliste später ins Teilnehmerfeld. Nun gilt es!

Meine Vorbereitung. Regelmäßige Marathonläufe. Darüber hinaus längere Distanzen, max. 100 km und Etappenläufe.

Januar: 50 km Rodgau; März: 50 km Lahntallauf, 6-h-Lauf 53 km Münster, 193 km (4 Etappen) Balaton-Lauf in Ungarn; April: 58 km Ith-Hils-Lauf; Mai: 73 km Rennsteiglauf, 50 km Westerwaldlauf, 126 km (2 Etappen) Saar-Hunsrück-Super-Trail; Juni: 50 km Null in GM-Hütte, 12 h-Lauf 91 km Marienfeld; Juli: 100 km Thüringen-Ultra Fröttstädt, Deutschlandlauf Etappen 6 + 8 (78 km und 83 km); 5. August 45 km Ottonenlauf.

Auch interessant: HaWe Rehers Erfahrungen 2016 als 5facher Finisher: HaWe

12.8., der Lauftag: 3:40 Uhr aufstehen, 4:05 Uhr Frühstücken, 4:50 Uhr Shuttle-Bus zum Stadion. Abgabe der Kleiderbeutel für die Wechselbereiche. 6 Uhr Start. Erste Ampel, rot, alle halten sich an die Spielregeln, keiner will rausfliegen wegen ein paar Sekunden. Seit der gestrigen Nudelparty ist mein Ziel (Mission Impossible) die Gürtelschnalle, die man erhält, wenn man unter 24 Stunden bleibt. Mein Tischnachbar trug diese besondere Auszeichnung, den Buckle. (Letztes Jahr benötigte ich 28:45 Stunden). Meine Beine laufen ganz gut, 1. VP, ein Becher Wasser und weiter. Wenig später, km 10, der Gedenkpunkt für Dorit Schmiel, die hier bei einem Fluchtversuch ums Leben kam. Ich lege hier eine Rose ab, Nachdenklichkeit, Gedenken, Gänsehaut. Ihr Bild wird die Finishermedaille zieren.

Jede Stehle steht für einen an der DDR-Grenze Getöteten

Viele Stellen der Strecke erkenne ich wieder, nur, letztes Jahr liefen wir anders herum und waren hier schon fix und fertig. Blankenfelde und Lubars lassen wir rechts und links liegen, als mir ein Mitläufer von einem Fluchtversuch berichtet. 1985 im März kamen 3 junge Leute mit dem Auto vom Onkel hier an. Sie zogen sich bis auf die Unterhose aus, durchschwammen eine Teich und überquerten die Grenzanlagen. Dann, als sie PKW mit Westberliner Kennzeichen sahen, klingelten sie an einer Tür. Hier wollte man sie zunächst nicht einlassen. Nachdem die Bewohner aber die Geschichte von der Flucht hörten, machten sie die Tür auf. Der Wagen vom Onkel wurde von den DDR-Behörden einkassiert, wegen Nutzung zur Republikflucht. Diesen Mitläufer, Thomas aus Berlin, werde ich in den nächsten Jahren bei verschiedenen Ultraläufen wiedersehen.

Ich laufe auf der Markierung der Teilung

Immer wieder laufen wir auf kleinem oder großem Kopfsteinpflaster. Ermüdend. VP 4 (von 27) Naturschutzturm, den Turm habe ich letztes Jahr nicht gesehen, oder? Immer wieder weisen die orangenen Stelen darauf hin, dass hier Opfer des Versuchs, die DDR zu verlassen, zu beklagen sind. VP 6, Ruderclub Oberhavel. Hierhin konnten sich Läufer Umziehsachen bringen lassen. Für mich zu früh, meine Dropbox liegen bei Km 70 und 100. Ich befolge HaWes Ratschlag: “Bleib an den VPS nur kurz stehen, beeil dich, das bringt richtig Zeit. Wenn du statt 2 Minuten nur 30 Sekunden bleibst, sparst du bei 27 Stationen über 40 Minuten.“

127,77 Km – nur noch!

Und ich laufe weiter durch den immer stärker werdenden Nieselregen. Nun mit Regenjacke. Es läuft, auch wenn meine rechte Achillessehne schmerzt. Der erste Marathon ist fertig gelaufen, in rund 5:05 Stunden. Eigentlich viel zu schnell für die Gesamtstrecke. Egal, ich versuche heute was geht. Es folgen die nächsten Kilometer, die sehr hügelig sind. Am rechten Fuß entwickelt sich eine Blase unter dem großen Zeh. Noch sind die Schmerzen auszuhalten. Die Wege sind schlecht, oft aufgebrochen von Baumwurzeln. Ich weiß gar nicht, wie ich hier letztes Jahr ohne Sturz durchgekommen bin. Ich überlege, wenn ich den nächsten Marathon in 6 Stunden laufe und dann 6:30 stunden, dann habe ich 17:30 Stunden und noch 6:30 Stunden für die letzten 36 Kilometer. Kann ich das? Ist das realistisch? Hört sich gar nicht so schlecht an. 

Trübes Regenwetter

Km 63,4: Pagel und Friends, ein besonderer VP. In einem Vorgarten bauen die Anlieger alles auf was man so braucht. Auch eine Durchsage gibt es hier. Und eine Livecam. Ich nutze die Bank und tausche meine Gummiringe an den Gamaschen aus, die alten hat’s zerrissen. Weiter geht’s. Keine 100 km mehr. 

Die VPs sind super bestückt!

Bei Km 71 ist der 2. Wechselpunkt, Schloss Sacrow. Hier warten HaWe, Wolfgang Wellensiek und Detlef. Es ist bereits 15 Uhr. Das Schloss wurde im 14 Jht. als Ritterburg errichtet und im 18 Jht. zu einem Gut umgebaut. Ich suche in meinem orangenen Beutel die Warnweste, die für die Nacht Pflicht ist. Da ist sie nicht, na dann sicher im Beutel bei Km 103. Die Schuhe lasse ich an. Ein Wechsel könnte auch fatale Folgen haben. Die Schmerzen sind erträglich. Ich setze das nächste Ziel: Km 84, 2. Marathon. Km 77, VP Revierförsterei Krampnitz. Gut, dass es hier ein Dixi-Klo gibt, genau passend. Um einiges leichter, tapere ich weiter. Das reimt sich!

Agenten-Austausch-Ort

VP Meierei, die kleine Brauerei am See. Km 84, die Zeit 10:41 Stunden. Also 5:35 für den letzten Marathon, nicht übel. Ich betäube die Blase mit einem kleinen Bier. Mein Puffer wächst, wie auch meine Schmerzen der Blase. Wenig später, so etwa bei Km 90 sind die Schmerzen plötzlich weg, die Blase gibt auf. Ob es am Bier liegt? Woher sie wohl kommt? Von den nassen Füßen oder davon, dass ich heute mit ganz neuen (5 km) Schuhen renne? Ich laufe wieder über die Glienicker Brücke, dort wo die Agenten getauscht wurden, gegen harte DM! Kalter Krieg, Gänsehaut. 

Nur noch 12 VPs folgen

Ich werde müde. Die Beine auch. Entlang am Griebnitzsee stehen die Villen der Reichen und Berühmten. Gegenüber fordert ein Transparent: „Zugang zum See für Jedermann!“. Das wird die Schönen stören. Es folgt die unendlich lange Gerade durch den Wald, echt 6 Kilometer lang! Und wellig, leicht ansteigend. Ich gehe viel und laufe nur die flachen Passagen, wie die anderen Läufer auch. Bei km 97 ist diese Tortour dann auch zu Ende. Königsweg heißt das hier. 

Schon über 100 km im Sack!

Sportplatz Teltow, km 103, Wechselpunkt 3, Sonja Kley empfängt mich, sie wartet auf ihren Staffelläufer. Meine Zeit hier: 13:45 Stunden, meine Bestzeit über 100 km liegt / lag bei 14:15 Stunden. Heute unter 24 Stunden, ist die Mission evtl. doch possible??? Hier in Teltow liegt mein zweiter Klamottenbeutel. Erst etwas essen und trinken, dann zum Beutel. Ich suche die Warnweste, und finde sie nicht. Mist! Ohne Weste darf ich nicht weiter. Nochmals durchwühle ich meinen kleinen Rucksack, keine Weste, Mist hoch 2. Ich überlege, was ich machen kann. Zur Tankstelle? Wo ist eine? Sonja fragen, wenn sie mit dem Auto da ist, hat sie vielleicht eine Weste zu verkaufen. Ok, gute Lösung, nach draußen, aber sie ist nicht mehr da. So ein Mist! Mist hoch 3. Ich spreche einen Autofahrer an, der wohl zu einem Läufer gehört. Aber er kann nicht abgeben, es ist nicht sein Auto, nur geliehen. Mist hoch 4. Was nun? Doch Tankstelle? Aufgeben? Aufgeben gibt’s nicht!

Etwas weiter sehe ich eine Frau, die auf ihren Läufer wartet. Sie ist mit dem Auto da. Ja, sie will mir gerne helfen. Und sie meint, dass sie sogar zwei Westen im Auto hat. Also zurück zum VP. Ich sehe zufällig, dass ich den Kontrollpunkt (Transponder) gar nicht angelaufen habe, das hole ich nun schnell nach. Weiter zum Auto, zu Birte, so heißt meine neue beste Freundin. Sie gibt mir eine Warnweste und will kein Geld dafür. „Mein Freund heißt auch Uwe“, sagt sie mit einem Blick auf meine Startnummer. „Danke, du bekommst die Weste morgen bei der Siegerehrung zurück“, verspreche ich ihr. Sehr erleichtert aber auch etwas verspätet laufe ich weiter. Boah ey, das hätte auch schief gehen können! Letztes Jahr war es bei Km 90 bereits dunkel, heute scheint noch die Sonne und ich bin schon an km 100 vorbei.

Ein privater VP, ein kleines Bier gönne ich mir. Habe ich verdient! Kilometer 110, 20:20 Uhr, es dämmert, Wolken ziehen auf, Wind setzt ein, kündigt den Regen an, der kurz darauf einsetzt, windiger Nieselregen. Ein alter Bekannter! 20:45 Uhr, ich ziehe die Regenjacke an und die Warnweste und das Kopftuch plus Stirnlampe. Beim Halt fallen die Mücken über mich her, da ich mir eine windgeschützte Ecke gesucht habe. Ich schlage um mich, renne weiter, nur weg von den Viechern! 

Ich bin noch gut drauf, verlaufe mich aber zweimal fast, werde von den gerade überholten Läufern zurückgerufen. Danach werde ich vorsichtig, bleibe bei Ihnen. Nur nicht verlaufen, das wäre tödlich für die Zeit und für meine Motivation. VP 21, Buckow, km 126, 3. Marathon 17:21 Stunden, oder 6:40 Stunden für die letzten 42 km. Und 6:40 Stunden verbleiben bis zur Grenze von 24 Stunden.

Es ist dunkel! Die Kamera packe ich weg. Es folgen Gras- und Waldwege, lange sehe ich keine Kennzeichnungen mehr, gut dass die Kameraden ein GPS-Gerät mit Streckenführung dabeihaben. Diese Scheiß Mücken piesacken mich. Ekelhaft!. Nun werden die Beine schwerer, die linke Hüfte schmerzt. Vermutlich wegen der Schonhaltung auf Grund der Blase am rechten Fuß. In Rudow der VP 22, endlich, 6 Kilometer können ganz schön lang sein! Noch 31 Kilometer. Nur noch! Es ist fast 24 Uhr. Es folgt der Abschnitt am Teltowkanal, rund 7 Kilometer Kanal. Motivation pur. Alle 500 Meter eine Markierung, ich gehe, ich laufe, ich gehe, ich habe keine Bock mehr. Gefühlt geht es immer leicht bergauf, das kann aber am Kanal doch nicht sein, oder? 

Die Nacht macht mir heute nichts aus. Warum nicht? Vermutlich, weil ich schon seit Stunden weiß, dass ich es mit dem Buckle schaffen kann. Und dann kann ich in Ruhe duschen, evtl frühstücken und SCHLAFEN. Mehrere Stunden schlafen bis zur Siegerehrung. Nicht so wie im vergangenen Jahr, als ich nur eine gute Stunde ruhen konnte. 

ein ewig langer Kanal

Hier am Kanal begegnet mir mein Schweinehund mehrmals. Ich verfalle ins Gehen. Immer wieder muss ich mich aufraffen, zu laufen. Nicht schnell, nur laufen. Immer nur laufen, laufen, laufen. Mir kommt das Gedicht in den Kopf. Wie ging das noch?

Der Lauf wird eine Megasause 
4 Marathons ganz ohne Pause, 

Der Läufer läuft so zum Vergnügen 
muss nachts den Schweinehund belügen 

Also weiter. Ich gehe bis es wieder läuft. Nur jetzt nicht noch die Zeit verdaddeln. VP 23, der Kanalabschnitt ist zur Hälfte geschafft. Nur kurzer Halt, wie immer, Cola, Malzbier, etwas Salziges, Cola und drei Haribo Teufel to go. Die Gestalten (Kollegen) auf den Liegestühlen sehen nicht gut aus, ob sie wohl noch weiterlaufen? Ich verabschiede mich und wie immer 800 Meter später Pinkelpause. Meine ca. 14. heute! Dehydriert bin ich nicht und doch habe ich irgendwie Matsche im Kopf. Wenn der Kanal zu Ende ist, dann kommt 3 Kilometer später der VP bei Km 140. Dann habe ich den Lauf geschafft. Nur noch 22 Kilometer, die schaffe ich immer – irgendwie. Oft laufe ich alleine. Kilometerlang.

Zu fünft treffen wir am VP ein. Wir sind schon bei Km 142. Ich frage die Kollegen nach der Uhrzeit. Es ist 1:46 Uhr. Noch 4:10 Stunden Zeit. Wenn ich noch laufen könnte, würde es eine tolle Zeit. Aber das Laufen fällt mir sooo schwer. 

Der Fernsehturm am Alex lächelt mir schon lange zu. Berlin, die Stadt, ist nicht mehr weit! Der Fernsehturm ist das höchste deutsche Bauwerk, 368 Meter hoch und wurde von der Deutschen Post der DDR 1969 eingeweiht. 

Danach ist nicht mehr viel mit Laufen. Wir schlurfen durch die Nacht. Die Müdigkeit ist passé. Nun kommen wir durch Neukölln, durch die Szene, hier ist morgens um zwei noch viel los. Alkohol, Drogen und was man sonst noch so braucht, hier ist Straßen-Party. Wir schleichen uns durch diese Orte, um nicht aufzufallen. Wir haben Angst vor einer blöden Anmache. Oder vor Schlägern, die ihre weibliche Begleitung beeindrucken wollen. Aber man nimmt uns kaum wahr, und wenn, dann als Bauarbeiter, mit Stirnlampe und Warnweste. Ich muss lächeln, gut so. Oberbaum-Brücke, hier steht unsere Zukunft, unser Nachwuchs draußen vor der Diskothek und wartet auf Einlass. Eine schlimme, sehr schmuddelige Gegend. Die ich nun gerne verlasse.

Eastside-Gallery – ein Foto vom Vortag

Entlang der Eastside Gallery geht es immer weiter, ich gehe immer weiter. Meine Muskulatur streikt, auch das Gehen belastet nun die Beine! VP Checkpoint Charlie, noch 8 Kilometer. Ich werfe das Übliche ein. Gönne mir zwei Salztabletten, nun nur keine Krämpfe mehr bekommen, denn diese könnten mein Ziel, meinen Erfolg noch verhindern. Meine Kollegen wollen noch etwas laufen, sollen sie. Es ist 3:36 Uhr (21:36 Stunden Laufzeit) und es sind nur noch 8,8 Kilometer. Ich wandere weiter, schließe zu einer Läuferin auf, die bereits seit Kilometer 105 nur noch geht. Sie hat Radbegleitung. Der Freund bekommt die Aufgabe, die Ampeln zu drücken, damit wir nicht warten müssen. Schon bei der ersten Ampel verzockt er sich, als wir ankommen ist das Fußgängermännchen schon wieder in stehender Position und hat den roten Mantel an. So eine Pause tut aber auch gut. Rund 50 Minuten benötigen wir für 3,8 Kilometer. Es ist 4:25 Uhr. Oder noch 1:35 Stunden für 4,6 Kilometer. Wir schaffen das, sind wir uns einig! Aber was folgt, sind wieder Wege mit grobem Kopfsteinpflaster, wie schon so häufig heute. Meine Füße sind geschwollen und empfindlich, es tut weh. 

Wie war das noch mit dem Gedicht?

Der Läufer läuft so zum Vergnügen 
des Nachts den Schweinehund belügen 

er passiert das Brandenburger Tor 
bald jubelt schon im Ziel der Chor!

Bescheuert, als ob für mich jemand im Ziel jubeln würde. Die letzten 4,6 Kilometer gehe ich nur noch, ich bin fertig, die Muskulatur schmerzt jetzt auch beim Gehen. Also etwas langsamer. Es wird reichen. Hochrechnung 23:30 Stunden, der Buckle ist meiner. Die Bernauer Straße findet kein Ende. Dann endlich, das Stadion, noch ein Umweg aber dann folgt die Stadionrunde. Detlef ruft schon von weitem „Uwe!“ Noch 250 Meter, dann ist sie beendet, die „Mission Impossible“! Erfolgreich! Mit Gänsehaut und einer Träne im Augenwinkel laufe ich ins Ziel.

Transponder abgeben gegen Tausch mit T-Shirt. Und einen Ausdruck meiner Zwischenzeiten erhalte ich direkt. Guter Service. Es ist 5.20 Uhr. Ich bin stolz!

Der Shuttlebus kommt gerade zurück. Genauso schlecht wie ich erklettern die anderen das Gefährt. Alle kämpfen mit Krämpfen. Am Hotel komme ich kaum aus dem Auto heraus. Rückwärts geht’s. Duschen ist auch schwierig, die Beine kann ich kaum anheben und das linke Knie schmerzt. Heftig! Es mag keine Bewegungen und hat innen einen schmerzhaften Druckpunkt. Sofort lege ich mich ins Bett. Nach 10 Minuten muss ich dem Knie mit Schmerzmittel helfen. Dann schlafe ich sofort bis der Wecker klingelt. Rund 4,5 Stunden. Das wirkt Wunder. Die Beine sind locker, das Knie ist schmerzfrei und lässt sich beugen. Die Blase am Fuß werde ich am Montag Susi zeigen. Wo war sie noch links oder rechts? Zur Siegerehrung! Birte erhält die Warnweste zurück.

Wieder eine ausgesprochen emotionale Angelegenheit. Eppendorf berichtet aus seiner Zeit in der DDR, Verbot des Besuches einer Oberschule oder eines Studiums. Von Leibeigenen spricht er. Und vom Vergessen, das nicht einsetzen darf. Deshalb sind Veranstaltungen wie der Mauerlauf so wichtig. Und wir/ich sind als Botschafter dabei. Ich habe jetzt mehr Tränen in den Augen als beim Zieleinlauf. Die Siegerehrung ist dann gewohnt lang. Als ich dran bin, erhalte ich meine Auszeichnungen: Medaille, Back-to-Back-Medaille und den Buckle. Aus den Händen von der Mutter von Chris Gueffroy, Karin Gueffroy, erhalte ich meine Medaillen. Und den Buckle! Eine sehr bewegende Begegnung für mich!

Chris Gueffroy

Chris Gueffroy war das letzte Opfer, das durch den Einsatz von Schusswaffen an der Mauer ums Leben kam. Das war in der Nacht vom 5. auf den 6. Februar 1989. Von einem befreundeten Grenzsoldaten hatte Chris erfahren, dass der Schießbefehl aufgehoben sei, was sich jedoch auf tragische Weise als falsch herausstellte. Bei seinem Fluchtversuch am Britzer Verbindungskanal wurde er von zwei Kugeln getroffen, eine davon traf sein Herz. Chris starb noch im Grenzstreifen. Seine Mutter Karin Gueffroy überreichte 2011 den Finishern beim ersten Mauerweglauf die Medaille, die das Porträt ihre Sohnes trug.

Eastside Galery – „Ich liebe das Leben!“ (im Finisher-Shirt)

Finisher: 52 Frauen (14 DNF/DNS) und 219 Männer (58 DNF/DNS) 

127. Uwe Laig          23:19:09        3. M60 (von 8)