Wie sich Helden in Riesen verwandeln
Anreise per Bus mit den Organisatoren des Vereins Run und Fun Bielefeld, Sonja und Detlef Kley, sowie weiteren 23 Läufer/innen. Abholen der Startunterlagen und um 19:00 Uhr, danach gibt es Essen im Restaurant des Hirschen. Hier werden Erfahrungen der Vorjahre ausgetauscht und der Wetterbericht studiert. Mir bleibt in Erinnerung, dass es 2 Skipisten geben wird. Eine im Aufstieg und die andere im Abstieg. Eine schwarze Piste soll dies sein. Das Wetter bleibt wohl bis 11 Uhr trocken danach kann mal ein leichtes Schauer runterkommen. Schon früh versuche ich zu schlafen, denn bereits um 4:30 Uhr wird uns der Bus zum Start fahren. Es gibt drei Starts: der Heldentrail über 65 Km mit Startzeit um 5 Uhr, der Riesentrail über 48 Km um 7 Uhr und der Wichteltrail über 17 Km um 9:30 Uhr.
Am Samstag sind alle angehenden Helden und Frühstarter der Riesentrailstrecke pünktlich im Bus. Sie haben ähnlich wenig geschlafen wie ich. Niemand möchte verschlafen. Taschenabgabe mit Wechselklamotten für später in der Halle am Startbereich. Auf zum Start, Natascha und Ute , meine Mitläuferinnen suchen. Übrigens, Suhl liegt etwa 420 Meter über NN. Ich begrüße noch kurz Ralf sowie Marion und Jochen Konradt, dann geht es schon los. 299 Stirnlampen setzen sich in Bewegung, welche schon nach 500 Metern abrupt endet, da es nun einspurig wird. Wie auf der Autobahn heißt es Geduld haben beim Einfädeln. Danach geht es aufwärts. Gefährliche Eisenstangen (hielten vor Jahren wohl heute verwitterte Treppenstufen) sind mit Farbe gekennzeichnet. Es geht weiter ordentlich bergauf. Erste Regentropfen fallen. Der Wetterbericht? Wir laufen in den Wolken. Der Regen wird stärker, es gießt, also Zeit für meine Regenjacke. Natascha und Ute tun es mir gleich. Wir wollen dieses Abenteuer gemeinsam bestehen. Die Wolken, oder ist das Nebel, nehmen zu. Die Stirnlampe dringt teilweise gar nicht durch. Wir kommen nur langsam voran. Auch, wenn es einmal flach dahin geht, folgt bald der nächste Anstieg. Endlich, ganz oben endet die Steigung am Bismarckturm (675 NN). Ein Helfer weist mir den Weg, rechts ab und sofort beginnt das kräftige Gefälle. Bäume liegen quer über dem Weg, Steine und Wurzel ragen aus dem Boden. Höchste Konzentration! Wer hat sich diese Strecke ausgedacht? An den Bäumen sind kleine Reflektoren angebracht, so dass ich die Strecke gut finde. An neuralgischen Punkten weisen Helfer den Weg.
Am ersten VP haben wir bereits 1:35 Stunden auf der Uhr. Die Cutoff-Zeit beträgt 9 Stunden für 48 ‚Kilometer, das wird knapp! Wir sind auf dem Domberg einer Felsformation auf der sich die Ottilienkapelle befindet. Bergleute sollen deren Vorläufer bereits vor vielen hundert Jahren hier (auf 550 NN) errichtet haben. Die Helfer am VP sind mega nett! Wir machen eine ordentliche Brotzeit, müssen dann aber doch weiter. Der Regen lässt nach.
Nun hinab über völlig ungleiche, gefährliche Stufen hinab nach Suhl, wo wir nach wenigen Schritten in der Ebene gleich wieder auf der anderen Seite des Ortes auf einen Fußweg bergauf geschickt werden. Puh, das ist schwer! Und jede Bergabpassage muss ich nutzen, um Kräfte für den nächsten Anstieg zu sammeln. Nach einer Straßenquerung erwartet uns nasse Helden ein Fotograf.
Bald wieder bergauf bis es links ab geht. Hier ist nun der berüchtigte Anstieg, eine Skipiste hinauf. Zwischendurch muss ich mehrere Pausen einlegen und die Stöcke voll einsetzen. Alter Schwede! Aber jede Steigung endet. Oben eine geschlossene Baude. Und ein hölzerner Skifahrer. Wir sind durchgeschwitzt und machen eine Pause.
Ein Blick zur Uhr: Wir sind nun bereits etwa 3 Stunden unterwegs und haben satte 14,4 Kilometer geschafft. Hochrechnung: 9:30 bis 10 Stunden für die Strecke bis zum Start/Ziel-Bereich bei Kilometer 48. Cut Off Zeit dort 9 Stunden. Wer später kommt, darf den Wichteltrail nicht mehr laufen, wird allerdings als Finisher des Riesentrails gewertet. Die Frage ist also, schneller laufen und weniger Pausen machen, um die 9 Stundengrenze noch zu unterbieten, oder wie bisher weiterzumachen. Wir sind uns schnell einig. Genuss statt Stress! Gut so!
Bei Km 16,2 erreichen wir den 2. VP an der Hütte am Wimbachbrunnen (800 NN). Hier gibt es wieder alles, um verlorene Energie nachzutanken. Wir machen uns an den nächsten unwegsamen Abstieg in ein schönes grünes Tal. Auf halber Strecke passieren uns hochkonzentriert und mit schnellen, sicheren Schritten die 3 Führenden des Riesentrails. Wir können nur staunen.
Im Tal (630 NN) angekommen, führt der Weg gleich wieder aufwärts. Über einen Bach und weiter steil bergauf. Eine Quälerei. Die Oberschenkel qualmen. Oben tauchen wir wieder in die Wolken ein. Ich bin froh, dass wir uns für nur 48 Kilometer entschieden haben. Was für eine Strecke!
Als wir die Höhe von 830 Metern erreichen, wird es flacher. Masten von einer Seilbahn (der Skilift Goldlauter) tauchen auf, und ein Schild: „Sagenhaft! Steilster Skihang Thüringens“. 100 Meter weiter, geht unsere Strecke nun diese schwarze Piste hinunter. Wir stehen am Rand und keiner will voraus gehen. Alter Schwede, ist das steil! Dann teste ich doch, ob und wie meine Schuhe hier Halt finden. Es geht, im langen Gras kann ich rutschfrei bergab gehen. Andere liegen ab und zu auf dem Rücken oder dem Po. Einige hopsen, andere gehen seitwärts, hier muss jeder seine Technik finden. Meine Oberschenkel sind stark gefordert. Wir kommen letztlich unverletzt unten an und blicken zurück. Von unten sieht es gar nicht so steil aus.
Schnell wird uns klar, es geht nun wieder bergauf. Umschalten in den Bergauf-Modus. Steil geht es hinauf. An jedem Wegekreuz stehen Wegweiser. Und jede Ecke hat einen Namen. Hansenrod auf 730 Metern ist so ein Punkt. Es geht weiter bergauf. Immer weiter. Alter Schwede.
Nächster Wegweiser bei Hirtenrod 850 über NN. „Mordfleck 0,5 Km“. Ich könnte mir vorstellen, dass so mancher Läufer die Streckenverantwortlichen ermorden könnten. So eine Schikane! Ab dieser Stelle geht es leichter weiter. Es wird flacher und es gibt endlich einmal Wege, die ich wieder laufen kann. Das lockert die Muskulatur. Dann biegen wir wieder auf schmale Wurzelwege ein. Ein Gipfelweg führt uns zu einem Gipfelkreuz mitten im Wald.
Eine Straße und auch der Rennsteig wird überquert. Wir sind etwa 6 Stunden unterwegs, als sich endlich die Sonne zeigt. Es geht bergab. Ein Hinweisschild weist auf die nahe Teufelskanzel hin. Sie liegt nur 20 Meter neben der Strecke. Natürlich müssen dorthin und ein Foto schießen.
Weiter zum Schneekopf und hinauf zum Schneekopfturm. Hier oben sind wir wieder in den Wolken und es weht eine unangenehmer Wind. Die neue Gehlberger Hütte ist leider geschlossen, das Wetter zu schlecht.
Die Stadt Oberhof wirbt für diesen Ort mit einem tollen Foto mit blauem Himmel und dem Text:
Sie müssen nur 126 Stufen überwinden um vom Aussichtsturm auf dem Schneekopf die Aussicht auf den Thüringer Wald aus 23,83 m Höhe, also aus 1001,11 m ü. NHN zu genießen. Sport mach hungrig – für das leibliche Wohl sorgt die Gehlberg Hütte, die am höchsten gelegene bewirtschaftete Hütte und Wanderherberge Thüringens mit 964 m üNN.
Nun haben wir also den höchsten Punkt der Strecke passiert. Wir können nun laufen, mit leichtem Gefälle. Das tut so gut! Wir kommen vorbei an mehreren Schnitzereien.
Lange 16 Kilometer hat es gedauert bis wir um 12 Uhr den 3. VP am Adler erreichen. Zeit für eine ausgiebige Rast. Wir erfahren von einem Helfer, dass der Sieger des Riesentrails wohl schon im Ziel ist. Er soll etwa 4:40 Stunden für die Strecke benötigt haben. Unfassbar! Ich rechne hoch, wir werden doppelt so lange brauchen. Allerdings haben wir auch mehr als doppelt so viel Spaß! Natascha und Ute stimmen mir zu.
Immer wenn ich denke, nun geht es ja wohl viel bergab, biegen wir wieder von den breiten Schotterwegen ab auf schmale Pfade ich den Wald. Erst fein eben dahin und dann wieder aufwärts.
Ein roter Pfeil zeigt senkrecht nach oben. Da müssen wir hinauf. In leichter Kletterei schaffen wir es. Das macht mir sogar Spaß! Wenn ich den Wegweiser richtig deute, heißt diese Stelle „Triefender Stein“.
Danach nun aber eine lange Gefällpassage hinab. Über eine Brücke. Auf und ab. Weiter zu einer Bundesstraße. Hier hören wir bereits laute Musik, denn der 4. VP ist nicht mehr weit entfernt.
Der Sprecher begrüßt uns frenetisch. Wir greifen bei dem umfangreichen Angebot des VP gerne zu. Es gibt auch Bier, mit und ohne. Die Musik wechselt zu Udo Jürgens „Ich war noch niemals in New York…..“
Ein Rhythmus, der die Mädels zum Tanzen bringt. Der Sprecher schließt sich begeistert an. Ich sage ihm, dass wir nicht die schnellsten aber wohl die lustigsten Läufer sind. Ein Video wird aufgenommen. „Kein Wunder, dass ihr die Cut Off Zeit nicht schafft“, ruft der Sprecher lachend. Der Song läuft fast 4 Minuten. Dann müssen wir aber wirklich weiter.
Es bleiben noch 9 Kilometer, die sich ziehen. Oben am Berg hören wir bereits den Sprecher im Ziel, allerdings müssen wir noch einen schönen Umweg laufen, bis es endlich auf einem feinen Grasweg in der Sonne zum Ziel geht. Gemeinsam laufen wir ins Ziel und werden dort von den Laufkollegen mit viel Applaus empfangen. Wir sind glücklich, es geschafft zu haben. Und die Entscheidung, vom Helden- auf den Riesentrail zu wechseln, war goldrichtig.
Zeit für Fotos im Ziel. Rückgabe des Transponders, Abholen des Finisher-Shirts und meines Kleidersacks. Danach umziehen und erst einmal ein alkoholfreies Bier genießen. Die Thüringer Rostbratwurst schmeckt mir auch sehr gut. Es dauert noch etwa, aber dann kommen sie.
Unsere Lauftreffchefs. Sonja und Detlef werden herzlichst von allen im Ziel begrüßt. Sie haben heute beide ihren 100. Marathon gefinisht. Herzlichen Glückwunsch! Wenig später macht sich der erste Sektkorken auf in die Erdumlaufbahn. „Prost und Glückwunsch!“ Ein Blick auf die Ergebnisliste zeigt: Von den 299 gestarteten Heldentrailläufern haben 8 ein DNF und 49 haben sich unterwegs für die Verkürzung auf 48 Kilometer Riesentrail entschieden. Diese 49 werden in einer gesonderten Liste geführt.
Am Sonntag geht es nach einem Abstecher nach Eisenach mit Besichtigung der Wartburg zurück nach Bielefeld. Hier endet um 18 Uhr eine sehr schöne Tour.